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10.01.2024 | Aus die Maus bei vorgetäuschter Krankschreibung

Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2. Mai 2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai 2022, das dem Kläger am 3. Mai 2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20. Mai 2022 und bis zum 31. Mai 2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31. Mai 2022 stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass für die Bescheinigung vom 2. Mai 2022 der Beweiswert nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 5 AZR 137/23 –

17.12.2022 | BAG zur Pflicht der Erfassung der Arbeitszeit

Seitdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte, dass die Erfassung der Arbeitszeit auch über geleistete Mehrarbeit hinaus für Arbeitgeber verpflichtend ist, ist die Unsicherheit groß: Die Pflicht besteht bereits, obwohl aktuell noch kein Gesetz existiert , das ausformulierte verbindliche und verlässliche Rahmenbedingungen vorgibt.

Ob Vertrauensarbeitszeit oder flexibles Arbeiten ‒ das BAG-Urteil wirkt sich auf alle Bereiche des Arbeitslebens aus. Die Urteilsbegründung liegt nun vollständig vor; aber wissen Sie, was konkret auf Sie als Arbeitgeber zukommt?

Wir schulen Sie als Arbeitgeber gerne im Umgang mit der bestehenden Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit in einer Inhouse-Schulung. Fragen Sie gern unverbindlich bei Rechtsanwältin Lippert an. Wir freuen uns, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten.

Dezember 2022

17.12.2022 | Steuerliche Behandlung eines inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses

Der 8. Senat des Bundesfinanzhofs hat am 28.09.2022 (Az: VIII R 20/20) zur steuerlichen Anerkennung eines punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlusses über eine inkongruente Vorabausschüttung Stellung genommen.

In dem vom BFH entschiedenen Fall fassten die beiden Gesellschafter einer GmbH einstimmig Vorabausschüttungsbeschlüsse, mit denen Vorabgewinne nur an einen Gesellschafter verteilt wurden. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH enthielt keine Regelungen zur Gewinnverteilung, so dass die Gewinn entsprechend der Beteiligungsverhältnisse zu verteilen waren (§ 29 Abs. 3 S. 1 GmbHG).

Der BFH entschied, dass ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist.

Damit verwirklich ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG.

Die Entscheidung widerspricht der Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).

(Quelle: Bundesfinanzhof)

12.04.2022 | Unzulässigkeit der Geltendmachung von Ansprüchen einer GmbH aus § 43 Abs. 2 GmbHG im eigenen Namen des Gesellschafters gegen den Fremdgeschäftsführer

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 25.01.2022 (Az. II ZR 50/20) entschieden, dass ein GmbH-Gesellschafter grundsätzlich keine Schadensersatzansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG gegen den Fremdgeschäftsführer der GmbH geltend machen kann.

Hintergrund der Entscheidung waren Forderungsausfälle aus Lieferungen einer GmbH, für die der Gesellschafter den Geschäftsführer, der keine Anteile an der GmbH hielt, verantwortlich machte.

Der Gesellschafter vertrat hierbei die Meinung, er könne im Wege der sog. actio pro socio Schadensersatzansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen geltend machen. Bei der actio pro socio macht ein Gesellschafter im eigenen Namen einen Anspruch aus dem Gesellschaftsverhältnis auf Leistung an die Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter geltend. Diese Befugnis wurzelt im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss der Mitgliedschaftsrechte eines Gesellschafters. Das Gesellschaftsverhältnis vermittelt dem Gesellschafter diese Befugnis aber grundsätzlich nicht gegen Personen, zu denen nur die Gesellschaft in einer Sonderrechtsbeziehung steht, wie dies bei einem Fremdgeschäftsführer der Fall ist.

Der BGH begründet das Urteil auch damit, dass die Verfolgung der Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer gemäß § 46 Nr. 8 Alt. 1 GmbHG von einem Beschluss der Gesellschafter abhängig ist. Der Gesellschafterversammlung soll es nämlich überlassen werden, ob ein Geschäftsführer wegen einer Pflichtverletzung belangt und die damit verbundene Offenlegung innerer Gesellschaftsverhältnisse trotz der für Ansehen und Kredit der Gesellschaft möglicherweise abträglichen Wirkung in Kauf genommen werden soll. Daher sei es vorzugswürdig, den Streit, ob die Anspruchsverfolgung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt oder ihm widerspricht, zwischen den Gesellschaftern auszutragen. Weigert sich die Gesellschafterversammlung, einen Anspruch gegen den Fremdgeschäftsführer zu verfolgen, kann jeder Gesellschafter die Rechtsverfolgung durch Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage erzwingen.

(Quelle: Bundesgerichtshof)

25.11.2021 | Abziehbarkeit von Zahlungen an beeinträchtigte Nach- bzw. Vertragserben

Der 2. Senat des Bundesfinanzhofs hat am 06.05.2021 (Az: II R 24/19) zur steuermindernden Berücksichtigung von Zahlungen eines Beschenkten zur Abwendung von etwaigen Herausgabeansprüchen eines Erben oder Nacherben Stellung genommen:

Eltern hatten in einem gemeinsamen Ehegattentestament ihre drei Söhne als Nacherben nach dem letztversterbenden Elternteil eingesetzt. Nach dem Tod des vorverstorbenen Vaters schenkte die Mutter einem der Söhne, dem Kläger, ein Grundstück aus dem Nachlass des Vaters. Nach dem Tode der Mutter machte ein Bruder des Klägers zivilrechtliche Herausgabeansprüche nach §§ 2113, 2287 BGB geltend. Der Kläger schloss mit dem Bruder einen Vergleich und leistete zur Erledigung und Abgeltung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche eine Zahlung.

Der Kläger beantragte daraufhin die Änderung der Schenkungsteuerfestsetzung und die Berücksichtigung der Vergleichszahlung. Das Finanzamt lehnte dies ab. Finanzgericht und BFH gaben dem Kläger Recht.

Nach Auffassung des BFH handelt es sich bei Zahlungen zur Abwendung von Herausgabeansprüchen von Erben oder Nacherben um Kosten die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entstehen (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 1 ErbStG.). Die Zahlungen, die diese ernstlich gemachten Ansprüche abwehren, dienen dazu, dem Beschenkten das Geschenkte zu sichern. Sie können deshalb nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG abzugsfähig sein. Ein bereits ergangener Schenkungsteuerbescheid ist entsprechend zu ändern.

(Quelle: Bundesfinanzhof)

24.11.2021 | Annahmeverzug im Lockdown

Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.

Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432,00 Euro im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23. März 2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die von der Freien Hansestadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen sei.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klägerin hat für den Monat April 2020, in dem ihre Arbeitsleistung und deren Annahme durch die Beklagte aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließung unmöglich war, keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es ist Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen. Soweit ein solcher – wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigter – nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21 –

11.05.2021 | Der Pferdekauf als Fernabsatzgeschäft

Vielen gewerblichen Pferdeverkäufern ist nicht bewusst, dass auch Pferdekaufverträge, die mit einem Verbraucher ausschließlich über Fernkom­mu­ni­ka­ti­ons­mittel geschlossen worden sind, dem Fernab­satzrecht unterfallen und damit widerrufen werden können.

312c Abs. 1 BGB regelt was unter einem Fernabsatzvertrag zu verstehen ist. Hierbei handelt es sich um Verträge, bei denen für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel (zum Beispiel Telefon, Briefe, Fax, E-Mail, WhatsApp, SMS etc.)  im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems verwendet werden.

Wer also z.B. auf seiner Homepage oder auf Online – Plattformen Pferde zum Verkauf anbietet und den Kaufvertrag mit dem Verbraucher nur über Telefon, Fax, E-Mail, WhatsApp, SMS o.ä. zustande kommen lässt, muss damit rechnen, den strengen Verbraucherschutzvorschriften genügen zu müssen.

Dazu gehört neben einer Belehrung über das Widerrufsrecht und die Einräumung einer 14- tägigen Widerrufsmöglichkeit eine Belehrung über das Verfahren der Ausübung des Widerrufs und zwingend auch die Beifügung eines Muster­wi­der­rufs­for­mulars. Erst wenn diese Informa­ti­ons­pflichten nach vollständig erfüllt worden sind, beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist zu laufen

Fehlt eine solche Information bzw. Belehrung oder ist diese – beispielsweise wegen eines nicht beigefügten Muster­wi­der­rufs­for­mulars – unvoll­ständig, erlischt das Widerrufsrecht erst ein Jahr und vierzehn Tage nach Vertrags­schluss.

Der Verkäufer wäre im Fall des zulässigen Widerrufs des Kaufvertrags verpflichtet, das –möglicherweise mangelfreie – Pferd innerhalb dieses Zeitraums gegen Kaufpreiserstattung zurückzunehmen.

02.04.2021 | Vergütung von Umkleide-, Rüst- und Wegezeiten eines Wachpolizisten

Das An- und Ablegen einer auf Weisung des Arbeitgebers während der Tätigkeit als Wachpolizist zu tragenden Uniform und persönlichen Schutzausrüstung nebst Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht nutzt, sondern sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet.
Die beiden Kläger, die beim beklagten Land als angestellte Wachpolizisten im Zentralen Objektschutz tätig sind, fordern die Feststellung der Vergütungspflicht von Umkleide-, Rüst- und damit in Zusammenhang stehenden Wegezeiten. Auf Weisung des beklagten Landes müssen die Wachpolizisten ihren Dienst in angelegter Uniform mit dem Aufdruck POLIZEI sowie mit den persönlichen Ausrüstungsgegenständen und streifenfertiger Dienstwaffe antreten. Es ist ihnen freigestellt, ob sie den Weg zur und von der Arbeit in Uniform zurücklegen und ob sie das in einer Dienststelle zur Verfügung gestellte Waffenschließfach nutzen. Sie haben die Möglichkeit, die Zurverfügungstellung eines Spinds zu beantragen. Einer der Kläger bewahrt die Dienstwaffe bei sich zu Hause auf und nimmt dort auch das Umkleiden und Rüsten vor. Der andere Kläger nutzt das dienstliche Waffenschließfach, was beim Zurücklegen des Wegs von seiner Wohnung zum Einsatzort und zurück einen Umweg bedingt. Das Landesarbeitsgericht hatte den Klagen zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen. Die auf vollständige Vergütung der Wegezeiten gerichteten Klagen wurden dagegen im Wesentlichen abgewiesen. Nur soweit der eine Kläger einen Umweg zurückzulegen hatte, stellte das Landesarbeitsgericht die Vergütungspflicht fest.
Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen, die Revisionen des beklagen Landes nur zum Teil Erfolg. Das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt. Ebenfalls nicht vergütungspflichtig ist die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung. Dagegen ist die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten, es handelt sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit. Der vom Landesarbeitsgericht geschätzte zeitliche Aufwand hierfür ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. März 2021 – 5 AZR 292/20 –

06.11.2020 | Vorsicht bei der Befristung von Vertragsbestandteilen

Unwirksamkeit der befristeten Erhöhung der Wochenarbeitszeit einer Kirchenmusikerin – Anspruch auf Beschäftigung mit 39 statt 3,5 Stunden

Das LAG München hat entschieden, dass eine in Landshut tätige Kirchenmusikerin weiterhin mit 39 Wochenstunden zu beschäftigen ist, weil sie durch nur befristete Erhöhung der Wochenstundenzahl unangemessen benachteiligt wurde. Die Klägerin war seit 28.10.2016 unbefristet bei der beklagten Kirchengemeinde als Kirchenmusikerin mit 3,5 Wochenstunden in Teilzeit angestellt. Insgesamt waren drei Vollzeitkirchenmusiker und zwei Teilzeitkräfte beschäftigt. Mit Änderungsvertrag vom 25.08.2017 wurde wegen der Erkrankung der 1. Organistin die Wochenstundenzahl der Klägerin befristet bis längstens 31.08.2018 auf 39 Stunden angehoben und dann wegen fortdauernder Erkrankung verlän- gert bis längstens 31.05.2019. Nachdem Anfang Oktober 2018 die 1. Organistin in Rente ging und die beiden anderen Vollzeitmusiker Ende Juli/August 2019 in den Ruhestand gehen wollten, entschied die Beklagte, künftig nur noch zwei Vollzeitmusiker zu beschäftigen. Der Arbeitsvertrag der Klägerin wur- de am 11.10.2018 dahingehend geändert, dass die Erhöhung der Wochenstundenzahl „auf Grund von betrieblichem Bedarf“ bis längstens 31.05.2019 verlängert wurde. Die Stellen für Kirchenmusiker wur- den ausgeschrieben, die Bewerbung der Klägerin abgelehnt.
Ihre Klage gegen die nur befristete Erhöhung der Wochenarbeitszeit hatte Erfolg. Schon das Arbeits- gericht Regensburg hat die Befristung in dem allein maßgeblichen letzten Änderungsvertrag als treu- widrig angesehen und als unangemessene Benachteiligung für unwirksam erklärt, weil bei Anschluss des Änderungsvertrages nicht zu erkennen gewesen ist, dass der betriebliche Bedarf für die erhöhte Wochenstundenzahl bei Ende der Befristung nicht mehr besteht. Der Wunsch der Beklagten, die frei werdenden Stellen auszuschreiben, um allen Kirchenmusikern die Möglichkeit einer Bewerbung zu eröffnen, stelle keinen Befristungsgrund dar.
Das LAG München hat das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die Berufung der Arbeitgeberseite zurückgewiesen. Der vom Arbeitgeber formulierte Änderungsvertrag unterlag als Allgemeine Ge- schäftsbedingung der Inhaltskontrolle. Die Befristung einer Erhöhung der Arbeitszeit um mindestens 25 % einer Vollzeitbeschäftigung ist i.d.R. nur dann angemessen, wenn Umstände vorliegen, die die Befristung eines Arbeitsvertrages insgesamt rechtfertigen würden. Vorliegend bestand weder ein vo- rübergehender betrieblicher Bedarf, noch ein sonstiger Befristungsgrund i.S von § 14 Abs. 1 TzBfG. Daher war die Befristung unwirksam. Die Kirchenmusikerin hat einen Anspruch darauf, weiterhin mit 39 Wochenstunden beschäftigt zu werden.

Quelle: Pressemitteilung LAG München – Urteil vom 20.10.2020, Az. 6 Sa 672/20

03.11.2020 | Leiharbeitnehmer: Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung eines Stammarbeitnehmers

Die betriebsbedingte Kündigung von Stammarbeitnehmern kann wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer beschäftigt, mit denen er ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes Arbeitsvolumen abdeckt.

Die Beklagte, ein Automobilzulieferer, beschäftigt neben 106 Arbeitnehmern auch Leiharbeitnehmer. Weil ihr Auftraggeber das Volumen seiner Autoproduktion reduzierte, sprach sie wegen des dadurch bei ihr entstehenden Personalüberhangs gegenüber den Klägern und vier weiteren Kollegen, allesamt Stammarbeitnehmer bei ihr, betriebsbedingte Kündigungen aus. In den knapp zwei Jahren vor Ausspruch der Kündigungen setzte die Beklagte sechs Leiharbeitnehmer fortlaufend mit nur wenigen Unterbrechungen (etwa zum Jahresende oder während der Werksferien) in ihrem Betrieb ein.
Das ArbG Köln hatte den gegen die Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen stattgegeben.

Das LArbG Köln hat dies in den Berufungsverfahren bestätigt und die Berufungen insoweit zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts hätten die Kläger auf den Arbeitsplätzen der Leiharbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können. Diese seien als freie Arbeitsplätze anzusehen. Zwar fehle es an einem solchen nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftige. Eine solche Vertretungsreserve verneint das Landesarbeitsgericht jedoch im vorliegenden Fall. Leiharbeitnehmer, die fortlaufend beschäftigt würden, seien nicht als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf im Unternehmen eingesetzt. Wenn immer wieder (unterschiedliche) Arbeitnehmer in einem absehbaren Umfang ausfielen, sei kein schwankendes, sondern ein ständig vorhandenes (Sockel-) Arbeitsvolumen vorhanden. Dementsprechend habe das BAG entschieden, dass der Sachgrund der Vertretung nicht vorliege, wenn der Arbeitgeber mit der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers einen dauerhaften Bedarf abdecken wolle.

Das Landesarbeitsgericht hat in beiden Verfahren die Revision zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des LArbG Köln Nr. 6/2020 v. 30.10.2020

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